Die (Mit-)Täter*innen

Die Morde an Raul Garcia Paret (21) und Delfin Guerra (19) sind bis heute nicht aufgeklärt und die Täter*innen müssen bis heute mit keiner Strafe rechnen. Wie ist das möglich? Wie ist es möglich, dass obwohl der 12. August 1979 immer noch in wacher Erinnerung vieler Einwohner*innen Merseburgs ist, die Stadtgesellschaft kaum bis gar keine Initiative ergreift, diese Taten aufzuarbeiten und somit auch die Täter*innen ihrer Verantwortung zu stellen? Wie ist es möglich, dass die Staatsanwaltschaft Halle keinerlei Anhaltspunkte sieht, die Ermittlungen wieder aufzugreifen und sich bei ihrer Begründung ausschließlich auf politisch beeinflusste Berichte der „Deutschen Volkspolizei“ (DVP) und des „Ministeriums für Staatssicherheit“ (MfS) stützt? Wie ist es möglich, dass der Rassismus in der DDR bis heute so verschwiegen wird, und nur wenige wissenschaftliche Arbeiten dazu vorliegen?

Wir möchten auufzeigen, wieso sich die Täter*innen bis heute so sicher fühlen können, wie es um Wissen über Täter*innen aussieht und die Argumentation der Staatsanwaltschaft Halle (Saale) näher betrachtet werden. Die Schwierigkeiten dabei sind, dass es nicht viel öffentliches Material zu den Taten gibt, daher stützt sich der Beitrag inhaltlich vor allem auf die Dokumentationen der Journalisten Tom Fugmann und Christian Bergmann und die Arbeiten des Historikers Harry Waibel, hinzu kommen eigene Wahrnehmungen innerhalb Merseburgs und Aussagen, die auf Facebook gepostet wurden.

Es wird aber auch deutlich, dass sich viele Erinnerungen und Aussagen zu dem 12. August 1979 widersprechen, sodass eine (juristische) Aufarbeitung umso dringlicher wird, um Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen.

Stadtgesellschaft Merseburgs

Dass der 12. August 1979 noch im Bewusstsein vieler Einwohner*innen der Stadt Merseburg ist, wird sowohl im persönlichen Gespräch mit Menschen vor Ort schnell klar, aber auch in Facebook-Gruppen wie „Du kommst aus Merseburg, wenn……..“ werden von Menschen mit Klarnamen Details über den 12. August ausgetauscht und es gibt Menschen, die sich damit brüsten an dem Abend auch in dem Lokal „Saaletal“ bzw. an den Taten beteiligt gewesen zu sein. Dabei ist erschreckend zu sehen, wie die Grausamkeiten der Tode von Raul Garcia Paret und Delfin Guerra nebensächlich werden und runtergespielt werden. Mit menschenfeindlichen Aussagen wie „Die sahen etwas zerbeult aus. Wir haben unser Revier verteidigt…“ oder „Wer sich nicht benehmen kann, muss sich nicht wundern wenn er aufs Maul kriegt. Die haben angefangen und die Mädels abgegrätscht…“.

 Bemerkenswert ist, dass Mitglieder der Facebook Gruppe keine Scheu haben, ihre rassistischen und menschenverachtenden Aussagen mit Klarnamen im Internet zu verbreiten. Dennoch schreibt ein Gruppenmitglied auch: „Mit Fahrradketten in der Hand haben sie Kubaner gehetzt und nur weil sie sich angeblich an die „deutschen“ Frauen rangemacht haben sollen…“

Auch die Recherchen der Journalisten Tom Fugmann und Christian Bergmann, die mit versteckter Kamera auf einer Wiedersehensfeier des Lokals „Saaletal“ filmten, zeigen, dass das Thema immer noch in aktiver Erinnerung der damaligen Gäste ist.

Im Gespräch mit Merseburgern und Merseburgerinnen kam zur Sprache, dass es häufiger dazu kam, dass Menschen von der Neumarktbrücke in die Saale getrieben wurden. Dieses Vorgehen war unter dem Begriff des „Saalesprungs“ bekannt.

Obwohl so viele Menschen von den rassistischen Taten am 12. August 1979 wissen, hält es niemand von den Beteiligten für nötig, die Taten zur (Selbst-) Anzeige zu bringen. In den meisten Gesprächen kommt eine starke Täter-Opfer Umkehr hinzu, die die Grausamkeit der Umstände der Tode relativiert.

Behörden – heute und damals

Das Verfahren gegen Unbekannt wegen Verdachts auf vorsätzliche Körperverletzung wurde sehr schnell eingestellt. Begründungen lassen sich in den Akten verschiedene finden, so heißt in einem Papier der „Bezirksdirektion der Volkspolizei Halle“ vom 27. August 1979 „Das am 12.08.1979 wegen Verdachts der Körperverletzung nach § 115 StGB eingeleitete Ermittlungsverfahren Tgb.-Nr. 1833/79 gegen Unbekannt wird nach § 141 Abs. 2 stopp eingestellt, da Art und Umfang der Mitwirkung bestimmter am Vorkommnis beteiligter Personen in der für die Durchführung eines Strafverfahrens notwendigen zweifelsfreien Weise nicht festgestellt werden kann.“[1]

Auch wenn es heute, insbesondere von der Staatsanwaltschaft Halle, so dargestellt wird, als hätten Polizei und Rettungskräfte nach den Übergriffen am 12. August 1979 auf Garcia Paret und Delfin Guerra alles getan, um die beiden so schnell wie möglich zu finden, ist es doch sehr verwunderlich, dass es drei beziehungsweise vier Tage gedauert hat, bis die Leichen geborgen wurden.

Außerdem ist einem weiteren internen Schreiben des MfS vom 16. Oktober 1979 zu entnehmen, dass wegen der Berücksichtigung der „brüderlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Sozialistischen Republik Kuba entschieden [wurde], gegen die an dem Vorkommnis in Merseburg Beteiligten keine strafrechtlichen Maßnahmen einzuleiten und das Ermittlungsverfahren gegen UNBEKANNT einzustellen.“[2] Die Tatsache, dass die Familie von Raúl Garcia Paret erst 2014 von dem Journalisten Christian Bergmann von den wahren Umständen des Todes ihres Sohnes und Bruders erfuhren, verdeutlicht, dass die Verantwortlichen in der DDR nicht nur kein Interesse an der Aufklärung der Morde hatten, sondern vielmehr aktiv die wahren Umstände der Tode vertuschen wollten. Der Bericht zum „unnatürlichen“ Tod von Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret sollte der kubanischen Botschaft „ohne den Grad der Beteiligung einzelner Personen darzustellen“ übergeben werden, sodass die Botschaft keine weiteren Informationen zum rassistischen Motiv erhalten sollte.

Auch wenn es ganz offenkundig ist, dass den DDR-Behörden viel daran gelegen war, diesen Vorfall nicht als vorsätzliche Tat sondern als Unfall an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, sieht die Staatsanwaltschaft Halle bis heute keinen Anlass die Ermittlungen erneut aufzunehmen. Das Nicht wiederaufnehmen der Ermittlungen wird in einer sehr widersprüchlichen Verfügung vom 14. Dezember 2016 der Leitenden Oberstaatsanwaltschaft Halle versucht zu begründen. Zu Beginn der Verfügung heißt es, dass es in den Archivunterlagen an Anhaltspunkten fehle, „…dass entsprechende Ermittlungen [durch das MfS] unterdrückt worden seien.“ Dennoch heißt es eine Seite weiter, wie im Bericht von Harry Waibel zu lesen ist, dass „durch die ‚Intervention des Staatsicherheitsdienstes‘ […] zwei eingeleitete Ermittlungsverfahren der Volkspolizei am 14. August 1979 gestoppt und weitere Ermittlungsverfahren ‚verhindert‘ worden [seien].“[3] Es ging der DDR-Führung darum, Öffentlichkeit zu verhindern, da unter anderem laut Verfassung der DDR alle Gerichtsverfahren öffentlich stattfinden mussten. Dass die Ermittlungen beeinflusst wurden, macht der Fakt deutlich, dass die Ermittlungen bereits zwei Tage nach der Tat gestoppt wurden, bevor überhaupt die Leichen gefunden wurden.

Selbst das Schuldeingeständnis einer Frau, dass sie einen der Schwimmenden mit einer Flasche am Kopf getroffen habe und dies „Wirkung gezeigt hat“ und der Kubaner „geriet zeitweilig unter Wasser“[4], bewegt die Staatsanwaltschaft nicht dazu, eine vorsätzliche Tat zu erkennen, auch wenn der Zeuge Lothar M., der vergeblich versuchte einen der Kubaner zu retten, im Interview mit dem MDR angibt, dass diese Weinflasche dazu führte, dass der eine Kubaner unterging. Auch die in den Vernehmungsakten niedergeschriebenen rassistischen Äußerungen, die zur Tatzeit gerufen wurden wie „Schweine, euch schwarzen Hunde müsste man erschlagen“[5], lassen die Staatsanwaltschaft kein rassistisches Motiv erkennen. Horst Busch war westdeutscher Industriearbeiter auf Montage zu der Zeit der Taten in Merseburg.  Er hat in einem Vorgespräch zu einem Interview mit dem MDR zugegeben, zum Angriff auf die „schwarzen Affen“ aufgefordert zu haben. Vor der Kamera gibt er das nicht mehr zu, sondern kommentiert gegenüber Tom Fugmann nur: „Ich habe zur Verfolgung aufgerufen. […] Ich hab Ihnen am Telefon doch auch gesagt: ‚Mord verjährt nicht.‘“ Den Täter*innen scheint bewusst zu sein, dass selbst nach 40 Jahren und trotz „Wiedervereinigung“ und neuer Verfassung sie für diese Taten belangt werden können. Er beschreibt wie zwei Kubaner über das Brückengeländer geworfen wurden und allen klar sein musste, dass die Saale Niedrigwasser führte und die Tiefe für einen Sturz von 7 bis 8 Metern nicht ausreichen würde. Somit nahmen die Täter*innen den Tod der beiden Männer billigend in Kauf.

Im ersten Obduktionsbericht wird behauptet, dass die Verletzungen des einen Kubaners erst „nach Todeseintritt“ entstanden sei.[6] Die Ärztin die damals die Obduktion durchführte, Uta Romanowski, sagt jedoch im Interview 2016 für die Dokumentation „Vertuscht und Verdrängt – Warum starben Vertragsarbeiter in der DDR“ (17.08.2016) mit dem MDR: „Wir haben damals keine sichere Todesursache mehr feststellen können, das war darauf zurückzuführen, dass der Verstorbene im Hochsommer mehrere Tage in der Saale gewesen ist und dadurch sind die Fäulnisprozesse auch schon relativ weit fortgeschritten gewesen.“  

Der Anwalt, der auch die Familie von Raul Garcia Paret rechtlich vertrat, sagt im Interview mit dem MDR: „Wir haben es offenbar mit einer Reihe von Straftaten, von Mordtaten zutun, die aufgrund rassistischer Motivation bereits zur Zeit der DDR begangen worden sind und offenbar auch damals schon unter staatlicher Mitwirkung vertuscht worden sind. Wir haben hier konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Staatssicherheit der DDR aufgrund von außenpolitischen Interessen des Staates, um vermeintlich das Ansehen des Staates zu retten, hier nicht tätig geworden ist, oder strafrechtliche Ermittlungen systematisch verhindert hat.“ (MDR 2016) Und weiter sagt er: „Wir gehen davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Halle von sich aus tätig werden dürfte, da es sich bei Mord um ein Offizialdelikt handelt, wenn sich ein solcher Anfangsverdacht ergibt.“


Es wird deutlich, dass Täter*innen namentlich bekannt sind, jedoch durch die Merseburger Mehrheitsgesellschaft und durch eine Staatsanwaltschaft, die nicht tätig werden will, gedeckt werden, obwohl die Tat noch immer in der Erinnerung der Menschen ist. Es verwundert, dass sich so viele Menschen sträuben, eine Aufklärung der Taten voranzutreiben und dass sie es als unnötig und lästig empfindet, sich mit den rassistischen Taten während der DDR auseinanderzusetzen.

Die Rolle der Staatsanwaltschaft Halle ist dabei ebenso dubios wie auch unbegreiflich. Obwohl so vieles dafürspricht, dass es sich um ein Offizialdelikt handelt, beruft sie sich auf die Ermittlungsergebnisse der DVP und des MfS, trotz des Wissens über politische Einflussnahme in die damaligen Ermittlungen.


[1] BArch, DP 3 4066.; vgl. Waibel 2017 S.2

2] BStU, MfS HA IX 8576, BI. 124, BI. 276.

[3] Waibel 2017 S.2

[4] Waibel 2017 S.1

[5] Waibel 2017

[6] vgl. Waibel 2017b S. 293