Das Vergessenwerden hat Geschichte

Rassistisch motivierte Todesfälle in der DDR

Seit 1990 führt die Amadeu-Antonio-Stiftung eine Übersicht über die Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt; diese Zahlen übersteigen dabei die durch die Bundesregierung offiziell anerkannten Todesfälle. Das Relativieren rechter und rassistischer Gewalt durch Staatsanwaltschaften, Behörden und Regierung hat jedoch eine viel längere Geschichte. Auch wenn die Deutsche Demokratische Republik mit ihrer Gründung 1949 den Antifaschismus offiziell zum Kern ihrer Staatsideologie erklärte.

Dass die Lebensrealität von Migrant*innen und BIPoCs trotz des antifaschistischen Selbstverständnisses des SED-Regimes von Ausgrenzung, alltäglichem Rassismus sowie pogromartigen Hetzjagden, geprägt war, findet in den Erzählungen über die DDR kein Gehör. Die Schere zwischen politischem Anspruch und gelebter Wirklichkeit hätte größer kaum sein können. Die Aufklärung der rassistischen Todesfälle und die damit einhergehende Anerkennung, die sowohl für die Angehörigen als auch für die gesellschaftliche Aufarbeitung von großer Bedeutung wären, bleiben bis heute aus. Die Opfer der rassistischen Gewalt sind heute weitgehend vergessen.

Raúl García Paret und Delfin Guerra

12.08.1979 in Merseburg

Raúl García Paret und Delfin Guerra kamen als Vertragsarbeiter aus Kuba, lebten und arbeiteten in Merseburg. Bei einer rassistischen Hetzjagd durch einen Mob von DDR-Bürger*innen starben die beiden Männer im Alter von 21 und 18 Jahren. weiterlesen


Manuel Diogo

30. Juni 1986 Coswig (Anhalt)

Manuel Diogo landete am 16. Juni 1981 auf dem Flughafen Berlin Schönefeld. Der damals 18-Jährige kam als Vertragsarbeiter aus Mosambik in die DDR mit dem Wunsch, eine Ausbildung zu absolvieren und seine Familie unterstützen zu können. Er arbeitete in einem Sägewerk in Coswig bei Dessau.
Am 30. Juni 1986 wurde die Leiche des 23-Jährigen an der Bahnstrecke zwischen Berlin und Dessau in Höhe Borne aufgefunden. Die genauen Umstände von Manuels Tod sind ungeklärt. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat im März 2021 erneute Ermittlungen eingestellt. Laut Obduktion erlitt Antonio Manuel Diogo eine offene Schädelfraktur mit Zertrümmerung der Schädelbasis sowie schwere innere Verletzungen.[1]

Den Angehörigen wird bei der Rückführung der Leiche mitgeteilt, dass es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt habe und sie den Sarg nicht öffnen sollen.


Carlos Conceição

19./20.09.1987 in Staßfurt

Carlos Conceição kam als Jugendlicher aus Mosambik in die DDR, um die „Schule der Freundschaft“ zu besuchen und dort seinen Schulabschluss zu machen. Immer wieder gab es gewalttätige Auseinandersetzungen und Angriffe auf die Schüler und Schülerinnen.
In der Nacht vom 19. auf den 20. September wurde Carlos Conceição in einem Jugendfreizeitzentrum in Staßfurt angegriffen und geschlagen. Nachdem er die Disko verlassen hatte, folgten ihm die Angreifenden, schlugen ihn und warfen ihn über das Brückengeländer.
Die Täter wurden zwar gefasst, doch unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde lediglich einer von ihnen zu 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und bereits nach zwei Jahren wieder entlassen.[2] Die Schüler und Schülerinnen der „Schule der Freundschaft“ wurden angewiesen, über den Todesfall zu schweigen.

Carlos Conceição wurde nur 18 Jahre alt.


[1] Waibel 2014: 145

[2] Waibel 2014: 146